skulpturen II

entstehungsgeschichten

 

 “die Skeptiker”,  
           
Eiche,  ca. o,5o x 1,55 m, Naturasphalt und graue Öllasur, 2013

M
it dieser Skulptur habe ich ein Thema zum Gegenstand gemacht, was als Gradmesser für den respektvollen Umgang der Menschen miteinander deutlich den Stand der kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft widerspiegelt. „Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein“ betrachten wir in modernen Gesellschaften als eine unerwünschte Form des sozialen Verhaltens. Einen Rückfall in die Barbarei der Worte, der nicht selten dann auch die Barbarei der Taten folgt, können wir derzeit an vielen Orten dieser Welt beobachten; auch da, wo der kulturelle Entwicklungsstand dies nicht hätte vermuten lassen.

Anlass war eine Szene, die mein Freund und Malerkollege Bernd Heidenreich im Mittelmeerraum eingefangen hatte. Drei alte Männer auf einem Marktplatz in einem Gespräch, in dem sich jeder der drei mit seinem rechten Nebenmann unterhält; ein etwas kurioses Kreisgespräch. Diese Männer sprühen vor Temperament und zeigen dennoch eine große Gelassenheit.
Diese Szene faszinierte mich. Wie müsste eine Szene aussehen, die außerhalb des mediterranen Rahmens stattfindet, und die von einer Gesprächskultur geprägt ist,  die bei allem Engagement auch gegenteilige Meinungen gelten lässt, in der der Verdacht nie aufgegeben wird, dass der Andere vielleicht auch Recht haben könnte,  in der dennoch die eigenen  Einsichten mit Engagement vertreten werden können. Drei Figuren wie bei Bernd Heidenreich, aber nicht als Kreisgespräch, sondern zwei skeptische Zuhörer und ein moderat und dennoch engagiert argumentierender Mann, wie das wohl eher dem nordischen Temperament entspricht, sollten es werden.

  “das Gerücht”,  
            
Linde,  ca. 1,oo x 1,7o m,  farblose Öllasur

Ein damaliger Kunde und heutiger Freund brachte mir im Herbst 2007 eine ca. 60 cm starke und ca. 1,00 m im Durchmesser messende Scheibe von einer hohlen Linde, die in seiner Nachbarschaft gefällt worden war. Ob ich daraus etwas machen könne. Ein halbes Jahr lang bin ich um dieses Stück herumgeschlichen. Dann stand das Konzept: eine Personengruppe, die einem Gerücht zuhört.
Diese Skulptur ist einer der seltenen Fälle, in dem die Reihenfolge der Konzepterarbeitung sozusagen umgekehrt war: die Idee folgte dem Holzstück, und nicht das Holzstück der Iidee. Auf der Basis der besonderen Wachstumseigenarten dieser Holzscheibe entwickelte sich die Vorstellung einer Gruppe, bestehend aus vier Köpfen, die in kommunikativer Verbindung stehen. Aber auch hier erfolgte die Konzepterarbeitung nicht spontan, sondern bedurfte eines ca. halbjährlichen Abwägungsprozesses.

“von Augen-Blicken und Blicke-Fängern” 
  
Eiche, Sockel Lärche, ca. 1,50 m, Naturasphalt, weiße und graue Öllasur, Blattgold, 2o13
                                                                                                  
D
er Anlass: der damalige Bundeswirtschaftsminister  Rainer Brüderle machte während eines journalistischen Hintergrundgespräches mit einer STERN-Journalistin die Bemerkung, dass (ich weiß die Formulierung nicht mehr genau) „sie auch ein Dirndl gut ausfüllen“ könne. Wenn ich das richtig weiß, fand diese Bemerkung eher am Rande einige Zeit später Eingang in einen Hintergrundartikel des STERN. Was folgte, war ein Aufschrei der Empörung, der durch die deutsche Medienlandschaft ging: Sexismus, Frauenverachtung, Reduzierung der Frau auf ein Sexualobjekt etc.
Ob eine solche Bemerkung eines alten Mannes gegenüber einer jungen Frau geschmackvoll ist, darüber lässt sich aus meiner Sicht nicht streiten. Obgleich die Welle der Empörung, die darauf hin durch die Republik schwappte, zu dem Anlaß meines Erachtens  in keinem Verhältnis steht, wurde dieses Ereignis zu einer Initialzündung, die die vielfach existierende Diskriminierung von Frauen auf die tagespolitische Agende brachte. Dessen ungeachtet bleibt der Sachverhalt: Männer interessieren sich für die Frau und die Attribute ihrer Weiblichkeit, so wie sich umgekehrt Frauen für Männer und für die Attribute ihrer Männlichkeit interessieren. Die Natur hat es glücklicherweise so eingerichtet, dass die Sexualität unsere wohl stärkste Antriebs- und Triebkraft ist. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Um eine ganz andere art von Arbeit handelt es sich bei der Skulptur „Lili im Wind“. Es geht hier um den Auftrag eines älteren Ehepaares, das an der Westküste Schleswig-Holsteins dicht hinter dem Deich wohnt. Sie fragten mich nach einer Skulptur, einer dynamischen weiblichen Figur mit wehenden Haaren auf einem hohen Sockel.
Ich nehme Aufträge grundsätzlich nur dann an, wenn es sich um eine Arbeit handelt, die mir selbst auch gefallen würde. Dadurch wird diese Skulptur zu einer Arbeit, die ich für mich mache. Ich biete sie dann dem Auftraggeber als Erstem zum Kauf an. Wenn sie nicht gefällt bestehen für den Auftraggeber keinerlei Verpflichtungen und ich habe eine schöne Skulptur in unserem Garten.
Glücklicherweise  hatte ich die Gelegenheit, einen Nachmittag  mit meinen Auftraggebern im Kreise ihrer Freunde zu verbringen. Dabei wurde mir klar, dass es bei dieser weiblichen Figur auf dem Sockel um die Persönlichkeitsmerkmale dieser sehr bedachten, aber auch sehr resoluten und handfesten Frau gehen sollte, die es gewohnt ist, „ihre Frau“ im Leben zu  stehen. Die Figur sollte weiblich, dynamisch, mit wehenden Haaren sein. alles andere war meine Sache. Nach einer weiteren Rücksprache war das auch bestätigt: es sollte im Gegensatz zu meiner üblichen Arbeitsweise um eine Arbeit gehen, in der nicht ein allgemeines Problem thematisiert, sondern in der die charakterlichen Eigenschaften einer ganz konkreten Person zu Gegenstand gemacht werden.

Das war im Herbst 2016. Nach etlichen verschiedenen Entwürfen und langen Beratungen mit meiner Frau stellte ich die Skulptur im Frühjahr 2017 innerhalb von etwas mehr als einer Woche fertig.

  “und ... weiter ... “ 
             
Eiche, ca. 1,60 m, unbehandelt, 2016

Bildung bedeutet Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Und Bildung wird gespeichert in Büchern. Neuerdings auch in digitalen Speichermedien. Mit der Industrialisierung und Demokratisierung der europäischen Gesellschaften wurde Bildung zum Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe. Das erkannten die Menschen bereits sehr früh. Schon in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts wurden in Selbstorganisation Arbeiterbildungsvereine  gegründet und es wurden (z.B. in Zigarrenfabriken) von den Beschäftigten und unter Bezahlung durch die Beschäftigten Vorleser abgestellt, die während der Arbeitszeit Romane, Zeitschriften und politische Bücher vorlasen (was bemerkenswerter weise in einigen Zigarrenfabriken auf Kuba noch heute praktiziert wird).
Vor dem Hintergrund von 8 Jahren Volksschule und 1o Jahren Erwerbsarbeit hatte ich mit 24 Jahren die Gelegenheit, an einer Universität ein Studium zu beginnen. Ich war das, was man einen fleißigen Studenten nennen würde. Aber mir ging es nicht darum, fleißig zu sein. Es gab zu viele Fragen und zu wenig Antworten. Ich wollte die Welt verstehen lernen. Dazu habe ich aus allen möglichen Fachbereichen alles an Wissen, was ich erreichen konnte, begierig in mich hineingestopft. Ich habe gelesen, was mir in die Finger kam. Hierbei lernte ich irgendwann, dass Wissen zwar eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung für das Verstehen der Welt ist. Wissen wird erst dann zur Bildung, wenn es gelingt, dieses in eine persönlich verfügbare Form zu übertragen. Und erst die Zusammenschau verschiedener Wissensgebiete versetzt uns in die Lage, in einer Welt zu agieren, die nicht nach Büchern und Wissensgebieten, sondern nach Problemkomplexen organisiert ist.
Ein Mann, in etwas ratloser Körperhaltung auf einen Stapel durchaus gewichtiger Bücher gestützt, guckt nachdenklich in die Ferne, als wenn die Einsicht so langsam in sein Hirn sickern würde, dass für ihn erst jetzt das eigentliche Problem beginnt, nachdem er all die Bücher gelesen hat.

die skeptiker
Skeptiker II (2)
das Gerücht I
das Gerücht II
und ... weiter ...,
Augen-blicke (2)
Blicke-Fänger (2)
Lili im Wind I
Lili im Wind II (2)
Lili im Wind III

Nachdem das Thema ein paar Jahre geköchelt hatte, Beginn der Arbeiten im Herbst 2012.Nach Drei Tagen war Schluss. Die Details der Figuren waren mir noch nicht klar genug. Nach einigen Monaten des Stillstandes dann: „Aha, so geht es“. Ein paar Tage später war die Skulptur fertig. Ich habe diese Skulptur bis auf einige wenige Details, bei denen ich mit dem Schnitzmesser gearbeitet habe, ausschließlich mit der Kettensäge aus einem Stück aus einem Eichenstamm geschnitten. Jedes Schnitzwerkzeug hat aufgrund seiner Eigenarten eine bestimmte Oberflächencharakteristik zur Folge.  Die geraden Schnittflächen, die bei der Arbeit mit der Kettensäge entstehen, führen zur Vergröberung der Formen und damit auch zur Klarheit der Formen. Daher hat jeder einzelne Schnitt auch sein besonderes Gewicht. Detailreichtum wird zugunsten von Klarheit der Körpersprache in den Hintergrund gestellt.

In dieser Darstellung ist nur der Urheber des Gerüchtes  mit Augen ausgestattet, die ihn in die Lage versetzen, zu sehen, worum es geht. Die anderen drei sind aufgrund des Fehlens von Augen nicht in der Lage, die Information zu überprüfen. Sie scheinen aber dennoch eher begierig an dem Neuigkeitswert der Information interessiert zu sein. Man kann Gerüchte als eine Art Klebstoff betrachten, mit dem soziale Gefüge zusammengehalten werden. Den größten teil unseres Wissens über unsere Mitmenschen, über das, was sie tun oder lassen, wissen wir aus zweiter Hand. Das ist kaum anders möglich und auch nicht schädlich, solange es uns klar ist, dass es sich hier um eine vorläufige, ungeprüfte Information handelt. Gerüchte sind nicht per se schädlich, zumindest nicht, solange wir verantwortungsvoll damit umgehen. Sie können aber auch zu einer gefährlichen Waffe werden, die auch ganz bewusst zur Vernichtung sozialer oder wirtschaftlicher Existenzen eingesetzt werden kann und wird. Besonders infam wird das ganze, wenn der Urheber des Gerüchtes (z.b. in sozialen Netzwerken) in der Anonymität verbleiben kann.

Achtung und Respekt vor anderen Menschen gebieten es uns, andere Menschen in ihrer Persönlichen Sphäre nicht zu behelligen. Aber eine Geschmacklosigkeit mit Sexismus (der ja immer einen Diskriminierungsvorgang zum Gegenstand hat) und Frauenverachtung gleichzusetzen, lässt eine beiden Seiten gerecht werdende Verhandlung dieses Themas nicht mehr zu. Wir alle, Frauen und Männer leben unsere Sexualität, mehr oder weniger öffentlich. Und dazu gehört auch, dass die Präsentation der männlichen wie auch der weiblichen Körperbeschaffenheit  in der Öffentlichkeit, auch gern mal provozierend, ihre oft beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt. Was durchaus auch ein von der Natur vorgesehener Vorgang ist. ob dies in dem „Brüderle-Fall“ so war, entzieht sich meiner Kenntnis.
Ich habe das wechselseitige sexuelle Interesse von Frauen und Männern zum Anlass genommen, eine formal stark reduzierte Skulptur zu schnitzen, die durch den überdeutlichen blick des Mannes auf die Brust  der Frau und die verschämt mit gesenkten Augen sich zur Seite drehende Frau das nicht wegzudiskutierende Spannungsverhältnis zwischen Männern und Frauen thematisiert. Erst die Anerkennung dieses Spannungsverhältnisses ermöglicht es, eine Diskussion über dieses Thema zu führen, an dessen Ende wechselseitiger Respekt und nicht neue Machtverhältnisse und evtl. auch eine neue Prüderie stehen.

Bemerkenswert ist noch, dass jemand von unseren Gästen die Position der Frau, die ich ursprünglich parallel zum Mann angeordnet hatte, um ca. 45° zur Seite gedreht hat: Eine dankenswerte Verbesserung.

DSCF8872 - Kopie (2)

manchmal eine gute
geschichte erzählen wollen.
manchmal gelingt es. manchmal nicht.
werke müssen aussehen
wie kunst.
sagt man.

eine andere sichtweise
einnehmen.
die welt verstehen wollen.
in sich nach dem mass suchen.
sich selbst trauen.
eitelkeiten zernagen intuitionen.
eine schwierige suche.

abstand gewinnen.
geduld, ruhe,
selber denken.
nicht gelebt werden. sich nicht antreiben lassen, wenn die
gedanken
noch nicht zu ende gedacht
sind.

viele der holzfiguren
sind zeugen desselben
gedankens:
will ich so leben,
wie wir industriemenschen
denken (sollen) leben zu wollen?

weiter, weiter, immer weiter!
weiter? reicht das? wohin?

nur der narr darf fragen.
ein mildes lächeln.
traumtänzer!

Holzlager Homepage

manchmal bin ich nicht meiner meinung1

“manchmal bin ich nicht meiner  Meinung”, ca 0,35 m, unverkäuflich